Adoptieren: Hat sich das alles gelohnt?

Kinder, die bereits ein Leben vor ihren Eltern haben, tragen dieses Leben unweigerlich über die Türschwelle ins Haus ihrer Adoptiveltern. Maximilian und Nadeschda aus Russland sind seit einigen Jahren bei Charlotte Weiss und ihrem Mann zuhause. Über ihr neues Leben zu viert bloggt Charlotte regelmässig auf charlottesadoptionsblog.com. Heute bloggt sie für Mamas Unplugged – darüber, ob es sich unter dem Strich wirklich gelohnt hat, Kinder mit einer Vorgeschichte vorbehaltslos als eigene aufzunehmen.

Bevor unsere Kinder zu uns kamen, hatte ich ein wunderbares Leben. Ich hatte einen Job, der mich forderte und ausfüllte. Ich pflegte intensiv meine Hobbys mit Lesen, Malen und Reisen in ferne Länder. Ich war selten krank, da ich viel Sport machte. Meine Ehe war sehr vertraut, da wir viel Zeit miteinander verbrachten und viele gemeinsame Interessen verfolgten. Ich hatte ein schönes Zuhause, das mit wenig Aufwand gemütlich und ordentlich war. Meist fühlte ich mich glücklich und zufrieden, zweifelte selten an mir selbst, war davon überzeugt, dass ich das was ich tat gut machte.

Heute mit meinen zwei Kindern bin ich zuhause und gehe keinem geregelten Job mehr nach. Selten lese ich, das Malen und Reisen habe ich eingestellt. Mindestens alle sechs Wochen quält mich eine Erkältung, da mein Immunsystem den viralen Angriffen aus Kindergarten und Schule kaum standhält, ich aber auch keine Zeit habe, Sport zu machen und unter konsequentem Schlafmangel leide. Zeit für die Paarbeziehung gibt es vielleicht viermal im Jahr. Was meinen Mann bewegt und beschäftigt, weiss ich immer weniger. Unser Haus so in Ordnung zu halten, dass ich nicht nachts auf irgendwelche Legosteine oder Matchbox-Autos trete, ist häufig eine Ganztagsbeschäftigung. In mir sind die permanenten Zweifel eingezogen, ob ich für meine Kinder tatsächlich eine gute Mutter bin, sie ausreichend fördere, ihnen die Fürsorge und Liebe gebe, die sie brauchen, so für sie da bin, wie es gut ist für sie.

Meine Kinder sind schwierige Charaktere. Das bringt ihre Lebensgeschichte mit sich. Unser Alltag ist wenig geprägt von freiem sorglosem Spiel, sondern dominiert von vielen Therapieterminen, Arztbesuchen, Aktivitäten, die die Kinder in den Bereichen fördern, wo sie noch Unterstützung brauchen, lernen für die Schule, üben für die Logopädin, etc. Wir müssen einem sklavischen Tagesablauf folgen, der immer den gleichen Rhythmus und die gleiche Struktur hat. Nur das gibt den Kindern Sicherheit. Lob, offene Zuneigung und kindlich naive Liebesbekundungen kommen erst jetzt gelegentlich, nach bald fünf Jahren intensiver „Beziehungsarbeit“. Vorher gab es das nicht. Da kamen Beziehungsanfragen „Hältst Du mich, Mama?“ über den Weg des Streits, der Konfrontation und Provokation.

Hatte ich mir das so vorgestellt? War ich mir vor der Adoption dessen bewusst, dass es so schwierig sein würde? Nein. Ich war mir dessen bewusst, dass es im ersten Jahr nach der Ankunft der Kinder nicht leicht sein würde. In jeglicher Beziehung. Mir war klar, dass ich eine Menge aus meinem „alten“ Leben aufgeben musste, und war bereit dazu. Ich war mir der Herausforderung bewusst, mich in meine Mutterrolle einfinden zu müssen und für mich einen eigenen Weg zu finden, meinen Kinder mit diesen besonderen Bedürfnissen eine gute Mutter zu werden. Aber mir war nicht klar, wie einschneidend und andauernd die Veränderungen in meinem Leben sein würden. Ja, im ersten Jahr brauchen die Kinder vielleicht therapeutische Unterstützung, um ihre Entwicklungsdefizite aufzuholen. Ja, es wäre gut, in den ersten Monaten permanent mit den Kindern zusammenzusein, um eine stabile Bindung aufzubauen.

Völlige Untertreibung!

Das reicht nicht aus. Meine Kinder brauchen viel mehr. Noch heute benötigen sie immer einmal wieder therapeutische Hilfe in unterschiedlicher Form. Noch heute muss ich als ihre Mutter permanent verfügbar sein. Bin ich es nicht, beginnen die Beziehungsanfragen von neuem.

Doch wenn abends nach viel Kuscheln und ausgiebigem Vorlesen meine Kinder in ihren Betten liegen, mein Sohn beim Gute Nacht sagen fest den Arm um mich gelegt hat und halb schlafend schon geseufzt hat „Meine Mami ganz alleine.“, meine Tochter meine Hand hält, damit ich bleibe, bis sie schläft, betrachte ich glücklich meine wunderbaren Kinder. Tiefe Dankbarkeit erfüllt mich in diesen Momenten egal ob es ein guter oder ein schwieriger Tag mit ihnen war. In der Stille freue ich mich über jeden kleinen Fortschritt, den wir in den vorangegangen Tagen gemacht haben – ein Abendessen ohne Sauerei, ein Lied, das mein Sohn mir glockenklar vorgesungen hat, eine freudige Umarmung auf dem Schulhof, wenn ich ihn abhole, den Spagat, den meine Tochter mir im Ballettunterricht gezeigt hat, das Strandgutbild, das wir aus gesammelten Muscheln unseres letzten Urlaubs gebastelt haben… Ich bin dankbar für all das, was ich mit diesen zwei Kindern über mich, meine Aufgabe als Mutter, Erziehung, Kindesentwicklung, und die besonderen Bedürfnisse meiner Kinder lernen darf. Demütig danke ich dem Schicksal, das mir diese zwei Kinder anvertraut hat. Denn SIE geben meinem Leben einen wahren Sinn.